Portrait Klaus Huber

Wie die meisten Persönlichkeiten in der Musik der Nachkriegszeit ist Klaus Huber der Einordnung in eine Schublade nicht entgangen. Je unbekannter ein Mensch und seine Musik sind, desto leichter ist es, eine eindimensionale Figur zu schaffen, angefüllt mit den üblichen, pflichtgemäß beifälligen stilistischen und moralischen Klischees; ganz anders ist es allerdings für die unter uns, die in der glücklichen Lage sind, zu einem weiteren Spektrum seines kompositorischen und kritischen Engagements Zugang zu haben: die volle Intensität, Offenheit und (wenn ich so sagen darf) Komplexität seiner historischen Position wird dann sogleich erkennbar. Obwohl er niemals seine Verwurzelung sowohl in der mittelalterlichen als auch in der seriellen Kompositionspraxis verleugnet hat, hat es Huber - anders als manche seiner Generationsgenossen - vermieden, auf eine marktgängige Ansammlung von stilistischen Merkmalen festgelegt zu werden, weil jedes seiner Werke eine höchst individuelle Antwort auf eine klar fokussierte und technisch genau ausgefeilte Reihe von Sachverhalten ist und zugleich auch ein präzises, stets erneutes Nachdenken über das Verhältnis der zeitgenössischen Musiksprachen zur realen, unvollkommenen Welt, in die sie eingebettet sind.

All seinen Werken gemeinsam ist eine überdeutlich ins Auge fallende Fähigkeit, auf höhere – in der Tat: meisterhafte – Weise über instrumentale und textuelle Quellen zu verfügen, dazu eine tiefe, natürliche Introvertiertheit des Ausdrucks (die manchmal gerade dann noch schlagender erscheint, wenn sie in Werken von öffentlicheren Dimensionen nach außen gewendet wird) und eine unvergleichliche Kontrolle der musikalischen Zeit. Seine musikalische Kunst ist humanistisch im doppelten Sinn: einerseits im Sinn der Treue zu traditionellen Konzepten des handwerklichen Könnens, andererseits im Sinn der beharrlichen Ansprüche, die er (zu Recht) an die Musik als die letzte visionäre Vermittlerin eines hohen ethischen Bestrebens stellt.

Zugleich ist Huber alles andere als ein zurückgezogener Mystiker der späten Moderne: anders als Adorno akzeptiert er nicht die agnostische Sicht, daß die integrale Autonomie des Avantgarde-Kunstwerks notwendige und ausreichende Garantie seiner Authentizität sei. Im Gegenteil, sein christlicher Glaube bewegt ihn, sich direkt dem zuzuwenden, was er als die doppelte utopische Sendung der Musik sieht: den Zuhörer zur konkreten sozialen Reflexion anzuregen und eine hoffnungserfüllte Vision vom »rechten Leben« zu verkörpern.

Wie mit diesem Credo steht es auch mit dem Menschen. Das hat sich in den Erfahrungen von einander folgenden Generationen jüngerer Komponisten gezeigt, die, wie ich selbst, die Kraft von Hubers pädagogischen Fähigkeiten selbst erleben konnten und so seine vollkommene Offenheit und kritische Toleranz gegenüber einer weiten Vielfalt von ästhetischen Positionen, kulturellen Hintergründen und angestrebten Zielen bestätigen können. Es ist zu hoffen, daß Hubers einzigartige Kombination von Fragilität des Ausdrucks und beharrlicher Strenge der Ausführung auch weiterhin Kopf und Herz all derer bewegen wird, die bereit sind, sich dieser Musik mit der umfassenden Geisteshaltung auszusetzen, aus der heraus sie geschrieben wurde.

Brian Ferneyhough