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Werkkommentar
für großes Orchester (1966/67)
Als ich "Tenebrae" niederschrieb, stand ich unter einem gewaltigen inneren Druck: Meine Vorstellungen kreisten um das Symbol "Sonnenfinsternis", "Verfinsterung des Lebens": Nicht im Sinne einer Stifterschen Beschreibung mit Mitteln der Musik, sondern viel eher in jenem Sinne der Anrufung eines uralten Menschheitssymbols, das durch eine gewaltige Pression bis in die innersten Tiefen menschlicher Existenz einzudringen vermag. Es ist daher möglich, ja wahrscheinlich, daß die Instrumente des Orchesters unter einem ähnlichen Druck stehen, wie ich ihn während der Arbeit an "Tenebrae" auszuhalten hatte.
Jahrtausendealte östliche Denkweisen machen keinerlei grundsätzliche Trennung zwischen dem Menschen und der Natur, dem Kosmos. Beides ist geborgen als Ganzheit. Unser abendländisches Weltbild ist aber seit langer Zeit extrem homozentrisch. Alles, was uns nicht rational durchschaubar erscheint, empfinden wir spontan als uns feindlich. Auch und gerade in der Musik. Es gibt eine unvergleichliche Vision bei Jean Paul: "Der Traum vom All". Ein Bote führt den Dichter durch alle unbegrenzten Räume des Kosmos. Der Mensch erlebt diese Geistreise die übrigens spätere Erkenntnisse der Astronomie antizipiert mit Angst, Schrecken, aber auch mit Hoffnung. Eben diese Vision beeinflußte die Komposition meiner "Tenebrae".
"Tenebrae" für großes Orchester wurde zwischen Frühling 1966 und Winter 1967 komponiert und ist Paul Sacher gewidmet, der den Auftrag zu diesem Werk erteilt hatte. Uraufgeführt wurde es beim Weltmusikfest der IGNM im Rahmen des Warschauer Herbstes am 24. September 1968 unter Mario di Bonaventura mit dem Radiosinfonieorchester Katowice. Das Werk erhielt den Beethovenpreis der Stadt Bonn 1970.
Klaus Huber